Tarif: Tarifautonomie das Beste für alle ...
Inhalt
Vorwort
Überblick
Tarifautonomie das Beste für alle
für die Menschen
für die Wirtschaft
für den Staat
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind selbstbewusst,
weil sie wissen, sie sind ihrem Arbeitgeber nicht schutzlos ausgeliefert.
Dafür sorgen Gesetze und Tarifverträge, die sie erkämpft
haben.
Was im Tarifvertrag steht, gilt im Betrieb unmittelbar und zwingend.
Faktisch kommen über 80 Prozent der Arbeitnehmer in den Genuss
tariflich geregelter Arbeitsbedingungen.
Die Grundlage dafür ist die Tarifautonomie. Die Gewerkschaften
verhandeln mit den Arbeitgebern gleichberechtigt und frei von staatlicher
Bevormundung.
Wenn nötig, wird ein Tarifvertrag erstreikt wie in der letzten
Tarifrunde. Die Tarifautonomie ist Verfassungsrecht. Sie gehört
wie die Mitbestimmung zum gesellschaftlichen Grundkonsens, der den
politischen und wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik ermöglicht
hat.
Jetzt wollen die gleichen Kräfte, die unter der Regierung
Kohl das Streikrecht eingeschränkt haben, auch die Tarifautonomie
aushöhlen.
CDU/CSU und FDP wollen das tarifrechtliche Günstigkeitsprinzip
aufweichen und den Tarifvorrang abschaffen. So steht es in ihren
Wahlprogrammen.
Angeblich geht es darum, so genannte betriebliche Bündnisse
für Arbeit zu legalisieren. Aber die Tarnung ist dünn
und leicht zu durchschauen. Tarifverträge sollen nur noch einen
unverbindlichen Rahmen abgeben. Ob sie eingehalten werden oder nicht,
das soll der Arbeitgeber mit der Belegschaft oder mit dem Betriebsrat
ausmachen.
Solidarische Tarifpolitik wäre damit am Ende, Lohndumping
die Folge.
Wo es sinnvoll und notwendig war, haben die Tarifvertragsparteien
immer schon Ausnahmen für Not leidende Unternehmen zugelassen.
Dafür muss das Tarifrecht nicht geändert werden.
Tatsächlich geht es um etwas anderes. Mit den Tarifverträgen
wollen CDU/CSU, FDP und Arbeitgeberverbände auch die Gewerkschaften
aus den Betrieben drängen. Das hat einen handfesten Grund:
In betrieblichen Verhandlungen ist der Arbeitgeber immer der Stärkere,
denn Belegschaften und Betriebsräte sind erpressbar. Flächentarifverträge,
die unmittelbar und zwingend gelten, sind die bessere Alternative.
Sie dürfen nicht ausgehöhlt werden.
Am 22. September wird auch über dieses Grundrecht der Arbeitnehmer
entschieden. Die Gewerkschaften werden alles daran setzen, dass
die Tarifautonomie nicht beschädigt wird wenn es sein muss,
auch über den Wahltag hinaus.
Klaus Zwickel
1. Vorsitzender
der IG Metall
Jürgen Peters
2. Vorsitzender
der IG Metall
Die neoliberalen Kräfte der Politik tatkräftig unterstützt
vom Arbeitgeberlager lassen nicht locker: Die Gewerkschaften als
Gegenmacht sollen von der Bühne verschwinden. Tarifverträge
sollen nur noch eine Richtlinienfunktion erhalten.
Der 1. Akt:
Nachdem die IG Metall 1984 ein Tabu der Arbeitgeber die 40 Stunden-Woche
erfolgreich weggestreikt hatte, änderte die Bundesregierung
(CDU/CSU und FDP) den Paragrafen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes
(AFG). Deshalb bekommen Ausgesperrte seit 1986 kein Kurzarbeitergeld
mehr, wenn streik und aussperrungsbedingte Produktionsausfälle
dazu beitragen, dass in einem nicht umkämpften Betrieb die
Arbeit ebenfalls ruhen muss.
Das klare Ziel: Kalt Ausgesperrte, die in einer solchen Situation
mittellos dastehen, sollen die Gewerkschaft drängen, den Arbeitskampf
abzubrechen.
Der 2. Akt:
Nun wollen die Väter des Paragrafen 116 AFG noch eins draufsetzen.
Sie wollen die Tarifautonomie zerschlagen, indem sie Tarifverträge
zu einem Muster ohne Wert degradieren.
Denn Arbeitgeber, Beschäftigte und Betriebsräte sollen
das Recht bekommen, tarifliche Vereinbarungen zur
Arbeitszeit und zum Entgelt zu unterschreiten, vorgeblich um Arbeitsplätze
zu sichern. Eine Garantie für derart gesicherte
Arbeitsplätze soll es aber nicht geben.
Das sieht ein Gesetzentwurf der FDP-Fraktion im Bundestag vor,
dem die CDU/CSU-Fraktion zugestimmt hat.
Es steht viel auf dem Spiel!
CDU/CSU und FDP wollen mit diesem Vorstoß das geltende Günstigkeitsprinzip
aushebeln. Die Beschäftigten eines Betriebs sollen die Möglichkeit
erhalten, auf tarifvertraglich vereinbarte Ansprüche zu verzichten,
wenn der Arbeitgeber verspricht, dafür Arbeitsplätze zu
erhalten. Das führt letztlich auch den Tarifvorrang
ad absurdum. Denn Tarifverträge hätten damit nur noch
eine Richtlinienfunktion. Sie könnten von Betriebsvereinbarungen
ganz oder teilweise verdrängt werden.
Wenn dieses Gesetz verabschiedet würde, wären Sozialdumping
und Schmutzkonkurrenz Tür und Tor geöffnet.
Der Bruch von Tarifverträgen könnte zum Alltag in der
Arbeitswelt werden.
Die Tarifautonomie, die als starkes Recht im Grundgesetz verankert
ist, stände wenn sich CDU/CSU und FDP gemeinsam mit dem Arbeitgeberlager
durchsetzten nur noch auf tönernen Füßen. Wer
dies plant, will einen wichtigen Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft
umstoßen. Das wäre ein klarer Verfassungsbruch.
Die Gewerkschaften wären zahnlose Tiger statt selbstbewusste
Gegenmacht. Sie könnten die wichtige Schutzfunktion für
ihre Mitglieder nicht mehr erfolgreich wahrnehmen.
Für Betriebsräte und für die Beschäftigten
ist eine solche Konstellation ein Kampf von David gegen Goliath.
Sie sind abhängig und erpressbar. Gegenmacht kann nur eine
Partei gewährleisten, die überbetrieblich organisiert
ist. Es ist schlicht scheinheilig, wenn die Tarifvertragsparteien
ein Einspruchsrecht bekommen sollen, nachdem unter Preisgabe tariflicher
Ansprüche ein betriebliches Bündnis für Arbeit
vereinbart worden ist. Was soll eine Gewerkschaft noch retten, nachdem
das Kind in den Brunnen gefallen ist? Die fatale Folge:
Eine Entsolidarisierung der Arbeitnehmerseite.
Tarifautonomie sichern den Anti-Streik-Paragrafen abschaffen
Für die IG Metall ist klar: Die Tarifautonomie hat sich bewährt.
Sie ist die Basis für ein äußerst flexibles Tarifsystem,
das allen sozialen und betrieblichen Anforderungen gerecht wird.
Deshalb muss sie erhalten bleiben.
Die Tarifautonomie trägt dazu bei, Beschäftigung zu fördern.
Die Arbeitszeitverkürzung der letzten Jahre ist dafür
nur ein Beispiel, Beschäftigungssicherungsverträge sind
ein weiteres. Die Tarifautonomie mit ihren Flächentarifverträgen
ist kein Hemmschuh für zusätzliche Beschäftigung.
Im Gegenteil.
Damit das so bleibt, sind Gewerkschaften auch weiterhin als Gegenmacht
zum Arbeitgeberlager erforderlich. Deshalb bleibt die IG Metall
dabei, dass der von der Kohl-Regierung geschaffene Paragraf 116
AFG (heute Paragraf 146 im Sozialgesetzbuch III ) abgeschafft werden
muss. Schnell.
Tarifautonomie das Beste für alle.
Der Arbeitsmarkt und die sozialen Systeme erleben krisenhafte Turbulenzen.
Um die Beschäftigungsverhältnisse weiter zu flexibilisieren,
wollen CDU/CSU, FDP und die Arbeitgeber die Tarifautonomie opfern.
Dabei hat gerade die Tarifautonomie einen wichtigen Anteil daran,
dass sich die bundesdeutsche Gesellschaft sozial entwickeln konnte
und heute weltweit zu den führenden Industrienationen gehört.
Sie hat der wachsenden Zahl von Erwerbstätigen dazu verholfen,
durch ihre Arbeit ein weitgehend selbst bestimmtes und verlässlich
planbares Leben zu führen.
Die Tarifautonomie ist im Grundgesetz verankert. Ein starkes Recht.
Denn es verhindert, dass Wirtschaft und Staat übermächtig
werden und allein über Wohl und Wehe der Arbeitnehmer/innen
und ihrer Familien bestimmen.
Die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit gewährleistet
die Tarifautonomie. Das bedeutet,
dass sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer in Verbänden
zusammenschließen und ihre Angelegenheiten untereinander vertraglich
selbst regeln können unabhängig von staatlichen Eingriffen,
parteipolitischen Kalkülen und wahltaktischen Überlegungen.
Auch Streiks sind in diesem Zusammenhang ein notwendiges Mittel.
Die Tarifautonomie funktioniert allerdings nur mit gleich starken
Partnern. Entscheidend dafür ist, dass sich Arbeitnehmer in
Gewerkschaften organisieren können, um ihre Kräfte zu
bündeln. Nur so kann sich gewerkschaftliche Gegenmacht entfalten.
Diese Machtbalance ist die Grundlage für faires und erfolgreiches
Verhandeln. Gerät sie in eine Schieflage, ist die Tarifautonomie
in Gefahr.
Ständige Angriffe seit den achtziger Jahren
Trotz ihrer Erfolgsgeschichte ist die Tarifautonomie in Deutschland
seit den achtziger Jahren ständigen Angriffen aus Politik und
Wirtschaft ausgesetzt. Der Anti-Streik-Paragraf 116 AFG heute
Paragraf 146 im Sozialgesetzbuch III , der Rückzug von Unternehmen
aus dem Arbeitgeberverband, um sich so der Tarifbindung zu entledigen,
sowie in jüngster Zeit der Vorstoß von FDP und CDU/CSU,
das geltende Tarifvertragssystem zu verändern: Dies alles zielt
einzig darauf, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zu schwächen.
Und den Einfluss der Unternehmer zu Lasten der Beschäftigten
zu stärken.
Anfang des Jahres 2002 hat die FDP-Fraktion im Bundestag einen
Gesetzentwurf eingebracht, mit dem geltende Tarifverträge ausgehebelt
werden sollen.
Die FDP will, dass künftig einzelne Beschäftigte und/oder
Betriebsräte statt der Gewerkschaften über Entgeltfragen
verhandeln. Die Betriebe sollen die Möglichkeit erhalten, tarifliche
Ansprüche der Arbeitnehmer preiszugeben, angeblich um Beschäftigung
zu sichern (so genannte betriebliche Bündnisse für
Arbeit). Das Günstigkeitsprinzip soll verändert
werden, Tarifverträge würden nur noch eine unverbindliche
Richtlinienfunktion haben. Die Verhandlungsrechte der Gewerkschaften
werden dadurch eingeengt, geltende Tarifnormen zurückgenommen.
Dagegen wehren sich die Gewerkschaften. Nicht allein, weil es darum
geht, ihre Stärke zu bewahren. Denn zweifellos zielt die FDP-Gesetzesinitiative
darauf, die bestehende Machtbalance zugunsten der Unternehmer zu
verändern.
Den Gewerkschaften geht es auch darum, Vertragstreue zu sichern.
Denn die Rücknahme tariflicher Erfolge und gesicherter sozialer
Standards zieht weite Kreise: Sie bringt nicht nur den Beschäftigten,
sondern allen Bürgerinnen und Bürgern hierzulande Nachteile.
FDP-Gesetzentwurf
zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit
Das Tarifvertragsgesetz
(TVG) (
) wird wie folgt geändert:
-
In § 4 wird Absatz 3 um folgende Sätze 2 und 3 ergänzt:
Eine Regelung zugunsten des Arbeitnehmers kann auch
dann vorliegen, wenn dieser gegen Aufgabe oder Einschränkung
einzelner tarifvertraglich festgelegter Positionen die Aufnahme
in ein Arbeitsverhältnis oder den Verzicht des Arbeitgebers
auf betriebsbedingte Kündigungen erlangt (betriebliche
Beschäftigungssicherungsabrede). Von der Günstigkeit
einer solchen Abrede ist auszugehen, wenn
-
der Arbeitnehmer jederzeit unter Wahrung einer seiner gesetzlichen
Kündigungsfrist entsprechenden Ankündigungsfrist
die Tarifbedingungen in Anspruch nehmen kann oder
-
ihr der Betriebsrat oder 75 vom Hundert der mit einem entsprechenden
Angebot des Arbeitgebers bedachten Arbeitnehmer des Betriebs
zustimmen.
für die Menschen
Regelmäßige Entgelterhöhungen, 35-Stunden-Woche,
sechs Wochen Jahresurlaub, freies Wochenende, Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall, soziale Sicherheit in Phasen von Arbeitslosigkeit,
Krankheit, Kindererziehung und im Alter: Das Leben vieler Arbeitnehmer/innen
und ihrer Familien sähe heute schlechter aus, wenn es keine
Tarifautonomie und keine Tarifverträge gäbe.
Branchenspezifische
Flächentarifverträge ermöglichen angemessene Entlohnungs-
und Arbeitsbedingungen. Deregulierung und Auflösung der Standards
tun dies erwiesenermaßen nicht. Sie führen zu niedrigeren
Löhnen und längeren Arbeitszeiten und sichern per se
keine Arbeitsplätze. Deshalb wollen wir das System der Flächentarifverträge
erhalten. Wir werden uns entschieden gegen die Abschaffung des
Tarifvorranges sowie die Neuinterpretation des Günstigkeitsprinzips
zur Wehr setzen. Mit diesen Änderungen würde die Tarifautonomie
auf kaltem Wege beseitigt.
Die IG Metall selbst hat zum Ziel, durch Tarifverträge Gestaltungsmöglichkeiten
für Betriebsräte zu eröffnen und erweiterte Wahlmöglichkeiten
zu schaffen. Auch der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit
von Betrieben, Branchen und Regionen wird Rechnung getragen, zum
Beispiel durch differenzierte Abschlüsse, Sanierungstarifverträge
und Härtefallregelungen.
Die IG Metall wird auch künftig innovative Regelungen erarbeiten
und von den Geschäftsleitungen Alternativen zum Beschäftigungsabbau
einfordern. Sie können auch Entgelte und Arbeitszeiten betreffen,
wenn dadurch nachweislich Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten
werden.
Aus dem Entwurf des Zukunftsmanifests der IG Metall Offensive
2010
In der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 entwickelte sich Deutschland
als Wirtschaftswunderland. Die Grundlage war das Modell
der sozialen Marktwirtschaft. Ihr Kernstück sind Mitbestimmung
und Tarifautonomie das Ringen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
um sichere Arbeitsplätze und humane Arbeitsbedingungen, sozialen
Schutz und höhere Entgelte. Es wird heute von neoliberalen
Kräften in Frage gestellt.
Wie die Tarifautonomie funktioniert, regelt das Tarifvertragsgesetz
(TVG), das 1949 erstmals in Kraft trat.
Das wichtigste Instrument ist der Tarifvertrag, insbesondere der
branchenspezifische Flächentarifvertrag. In ihm sind die Entgelt-
und Arbeitsbedingungen geregelt Eingruppierungsstufen und -merkmale,
Entgeltbestimmungen und -zuwächse, Dauer und Verteilung der
Arbeitszeit, Qualifizierungs- und Beteiligungsrechte usw.
Der Blick auf die zurückliegende 50-jährige Geschichte
der Tarifpolitik in Deutschland seit Inkrafttreten des Tarifvertragsgesetzes
zeigt, wie konsequent die IG Metall für die Lebensqualität
und den Wohlstand gestritten hat, der den meisten Menschen heute
selbstverständlich erscheint.
Ihre tarifpolitischen Erfolge konnte die IG Metall nur durch das
enorme Engagement ihrer Mitglieder erringen vereinzelt auch durch
Streik.
Sie haben dazu beigetragen, dass es allen wirtschaftlich Schritt
für Schritt besser ging. Denn unsere sozialen Sicherungssysteme
bauen auf der Erwerbsarbeit auf. Daher profitieren auch Senioren
und Arbeitslose sowie Frauen und Männer im Erziehungsurlaub
von tariflich vereinbarten Entgeltzuwächsen.
Die Angriffe auf die Tarifautonomie beeinträchtigen damit
nicht nur die Lebensqualität der Erwerbstätigen, sondern
aller Bürger/innen.
Tarifpolitische Erfolge der IG Metall
-
1956/57 nach 16-wöchigem Streik: Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall
-
1967: 40-Stunden-Woche
-
1973: Mindesterholzeiten für Arbeiter/innen, Kündigungs-
und Verdienstschutz für ältere Arbeitnehmer/innen
-
1978: Schutz gegen rationalisierungsbedingte Abgruppierung
-
1978/79: 30 Tage Jahresurlaub (ab 1982)
-
1984: stufenweiser Einstieg in die 35-Stunden-Woche
-
1994: Beschäftigungssicherung
-
1995: 35-Stunden-Woche (Metall- und Elektroindustrie, Stahl,
Holz- und Kunststoffindustrie in Westdeutschland)
-
1996/97: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verteidigt
-
1997/2000: Altersteilzeit
-
2001: Qualifizierungsansprüche (in BadenWürttemberg)
-
2002: Altersversorgung (MetallRente)
-
Jahr für Jahr Entgeltzuwächse, die die Teilhabe
der Beschäftigten am wirtschaftlichen Wachstum und am
Produktivitätsfortschritt sichern.
Die Tarifverträge ermöglichen es den Beschäftigten,
auf sicherer Basis eigene Lebenspläne zu verwirklichen. Denn
was im Tarifvertrag steht, ist für die Unternehmer, die im
Arbeitgeberverband organisiert sind, bindend. Und Beschäftigte
dieser Firmen, die Mitglieder der IG Metall sind, haben darauf sogar
einen rechtlichen Anspruch.
Mit den Arbeitgebern ausgehandelte Tarifverträge sorgten in
der Vergangenheit dafür, dass die Arbeitsbedingungen menschlicher,
die Entgelte erhöht, die Arbeitszeiten kürzer und die
Lebenszeiten der Beschäftigten planbarer wurden.
Gerade in kritischen Zeiten müssen sich Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer auf tarifliche Leistungen und Rechte berufen:
-
Die Tarifverträge gewährleisten auch in schwierigen
wirtschaftlichen Phasen eines Unternehmens, dass die ausgehandelten
Arbeitsbedingungen erhalten bleiben und Löhne und Gehälter
nicht einseitig vom Arbeitgeber gekürzt werden können.
-
In vielen Tarifverträgen sind Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung
verankert. Sie zwingen den Arbeitgeber, bevor es zu betriebsbedingten
Kündigungen kommt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen,
um Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Dazu zählen
unter anderem kürzere Arbeitszeiten, mehr Qualifizierungsangebote,
Teilzeitarbeit oder Altersteilzeit.
-
Auch für innovative Beschäftigungsförderung
und -sicherung bieten Tarifverträge ausreichend Spielraum.
-
Für Auszubildende konnte eine zwölfmonatige Übernahmegarantie
nach Abschluss ihrer Lehre vereinbart werden.
-
Die IG Metall hat zwar nicht verhindern können, dass die
gesetzlichen Rentenansprüche gekürzt wurden. Aber
um die Folgen abzumildern, setzte sie eine Tarifrente durch.
Außerdem tragen Tarifverträge erheblich zur Gleichbehandlung
der Arbeitnehmer/innen im Betrieb bei:
-
Die Arbeitsbedingungen von Arbeitern und Angestellten gleichen
sich immer mehr an. Ihre unterschiedliche Entlohnung wird mit
der Umsetzung des Entgeltrahmen-Tarifvertrags (ERA) demnächst
ein Ende haben.
-
Die Chancen für Frauen in der Arbeitswelt haben sich verbessert.
-
Qualifizierung für alle und nicht nur für
ohnehin besser qualifizierte Berufsgruppen: ein Ziel, das die
IG Metall zunächst in Baden-Württemberg ebenfalls
durch Tarifvertrag erreicht hat.
-
Auch die Angleichung der Tarifentgelte in den neuen Bundesländern
an das westdeutsche Niveau ist um entscheidende Schritte vorangekommen.
-
Nicht zuletzt: Tarifverträge sichern Mindestentgelte und
Mindestarbeitsbedingungen. Sie dürfen nicht unterschritten
werden.
Aber gerade solche Schutznormen und solidarischen Elemente in den
Tarifverträgen sind den Arbeitgebern ein Dorn im Auge. Globalisierung
und verstärkter internationaler Wettbewerbsdruck, argumentieren
sie, erforderten mehr Flexibilität und offenere Verhandlungsergebnisse.
Dabei geht es ihnen offensichtlich zuallererst darum, garantierte
Leistungen zu verringern, festgeschriebene Standards zu senken und
verschiedene Arbeitnehmergruppen gegeneinander auszuspielen.
Denn aus der Vergangenheit wissen sie: Nur durch Solidarität
und Kampfbereitschaft durch ein machtvolles Gegengewicht gegen
das einseitige Diktat der Arbeitgeber können die Arbeitnehmer/innen
und ihre Gewerkschaften soziale Errungenschaften durchsetzen und
die Zukunft menschlicher gestalten. Das wollen CDU/CSU und FDP ändern,
indem sie Tarifverträge unverbindlich und die Arbeitnehmer/innen
dadurch erpressbar machen.
Diese Tarifrunde
hat erneut die Stärke der Tarifautonomie bewiesen. Gewerkschaften
und Arbeitgeber brauchen keine Einmischung von außen. Andere
sehen das anders: CDU und CSU haben angekündigt, das Günstigkeitsprinzip
zu Lasten der Beschäftigten zu ändern. Die wollen das
wirklich. Da hilft auch alles Kreidefressen nichts. Ich erinnere
mich nur zu gut, dass die anderen viele Anträge mit dieser
Stoßrichtung allein in dieser Legislaturperiode in den Bundestag
eingebracht haben. Das liegt also alles fertig in der Schublade.
-
Sie wollen den Tarifverträgen ihre Schutz-, Ordnungs-
und ihre Friedensfunktion nehmen.
-
Sie wollen einen Lohndumping-Wettbewerb der Betriebe.
-
Sie wollen Tarifverträge zur unverbindlichen Richtschnur
degradieren. Tarifautonomie ist für die ein Fremdwort.
-
Sie wollen die Streikfähigkeit der Gewerkschaften aushebeln.
Kurzum: Sie legen die Axt an die soziale Marktwirtschaft in Deutschland.
Sie wollen ein anderes Land. Das ist mit mir nicht zu machen.
Das dürfen und das werden wir nicht zulassen!
Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem DGB-Bundeskongress
am 29. Mai 2002
In vielen Ländern zeigt sich, welche Folgen es hat, wenn Arm
und Reich immer stärker auseinander driften.
Die USA, wo inzwischen jeder dritte Bürger wegen gänzlich
fehlender Arbeit oder trotz Arbeit wegen unzureichender Löhne
als einkommensarm gilt, sind ein beredtes Beispiel.
Wachsende Kriminalität, immer raschere Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen,
abnehmende Bildungs- und Leistungsbereitschaft sowie das allmähliche
Verschwinden des Mittelstands werfen zunehmend Probleme für
die soziale Sicherung wie für die Wirtschaftskraft auf.
Aber auch in europäischen Ländern lässt sich dieser
Trend inzwischen mehr und mehr beobachten. In Deutschland gibt es
ebenfalls eine zunehmende Umverteilung der Einkommen von unten nach
oben.
Stets hatte die IG Metall bei ihrer Tarifpolitik auch im Blick,
zur sozialen Gerechtigkeit in der Gesellschaft beizutragen.
-
Solidarische Entgeltpolitik lautet ihr Programm.
Der IG Metall ist es gelungen, allzu große Spannweiten
zwischen den Löhnen und Gehältern zu verhindern.
-
Arbeit umzuverteilen und das vorhandene Arbeitsvolumen mehr
Beschäftigten zugute kommen zu lassen, stand beim Kampf
der IG Metall um die 35-Stunden-Woche im Mittelpunkt.
-
Eine Brücke zwischen Jung und Alt durch verstärkte
Altersteilzeit zu schaffen, diente ebenfalls diesem Ziel.
Einkommen umverteilen
Zur sozialen Gerechtigkeit gehört für die IG Metall auch
eine Umverteilung der Einkommen.
Ihre kompromisslose Haltung demonstrierten die Arbeitgeber erneut
bei der letzten Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie,
obwohl die Arbeitsproduktivität in Deutschland im internationalen
Vergleich am höchsten ist und die Unternehmensgewinne
wie nie zuvor sprudelten.
Nur durch Streik gelang es der IG Metall, die Arbeitnehmer/innen
wenigstens ein kleines Stück weit stärker an dem von ihnen
erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu lassen.
-
Während in der Gesamtwirtschaft die Nettogewinne von Kapitalgesellschaften
von 1993 bis zum Jahr 2001 um 106,2 Prozent anstiegen, wuchsen
die Netto-Löhne und -Gehälter
im gleichen Zeitraum um lediglich 7,6 Prozent.
-
Die Zahl der Einkommensmillionäre in Deutschland nimmt
beständig zu. Gleichzeitig leben hierzulande immer mehr
Menschen, darunter inzwischen sogar jeder achte Vollzeitbeschäftigte,
in Armut.
Die Kämpfe der IG Metall für soziale Gerechtigkeit sind
in den letzten Jahren sowohl von den Arbeitgebern als auch von Seiten
der Politik systematisch unterlaufen worden. In Zukunft wird es
für die IG Metall nicht leichter werden, eine gerechte Verteilung
der Einkommen durchzusetzen. Dies hängt mit dem Wegfall nationaler
Wechselkurse zusammen, aber auch mit der eigenständigen Politik
der Europäischen Zentralbank.
Daher ist eine europäische Koordinierung der Tarifpolitik
mehr denn je gefordert. Und um so wichtiger bleibt die gewerkschaftliche
Gegenmacht nicht nur in Deutschland, sondern in Europa.
Positionen zur Bundestagswahl
Tarifautonomie und Mitbestimmung sind Grundpfeiler des
Sozialstaates. Die Unabdingbarkeit des Tarifvertrages darf durch
Umdeutungen des Günstigkeitsprinzips nicht in Frage gestellt
werden.
Tarifverträge müssen wie bisher Vorrang vor betrieblichen
Vereinbarungen haben. Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen
ist die Voraussetzung für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.
Arbeitnehmerschutzrechte sind zu sichern und angesichts neuer
Schutzbedürftigkeiten weiterzuentwickeln.
-
Schutz vor Lohndumping verbessern (ggf. Regelungen analog
Entsendegesetz auch außerhalb des Baubereichs, Tariftreuegesetz)
-
Deutliche Verbesserung der Bedingungen für qualifizierte
Teilzeitarbeit (Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Teilzeitarbeit
verbessern, Anspruch auf Mitentscheidung bei Lage der Arbeitszeit,
jederzeitiges Rückkehrrecht zur Vollzeit, Verbesserung
der Alterssicherung)
-
Stärkung der individuellen Arbeitnehmer- und der Betriebsratsrechte
im Insolvenzfall (Beteiligung bei Insolvenzplänen, Vertretung
in der Gläubigerversammlung, Schutz von Anwartschaften)
-
Wiederherstellung des vollen Streikrechts (§ 146 SGB III),
Verbandsklagerecht gegen Tarifbruch und Verstoß gegen
gesetzliche Mindestarbeitsnormen, Vereinfachung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung
von Tarifverträgen.
Positionen der DGB-Gewerkschaften zur Bundestagswahl 2002
Die Tarifautonomie und der Flächentarifvertrag haben
sich bewährt. Sie haben starke und gut organisierte Sozialpartner
zur Voraussetzung, deren Chancengleichheit insbesondere in Tarifauseinandersetzungen
gesichert sein muss. Sie ermöglichen bei Bedarf flexible
Lösungen, die auf regionale und branchenspezifische Bedürfnisse
und auf Beschäftigungssicherung ausgerichtet sind. Sie können
gezielt und verstärkt auch betriebliche Aspekte berücksichtigen.
SPD-Wahlprogramm
Wir brauchen eine tarifrechtliche Flankierung zur Erweiterung
des Spielraums für betriebliche Bündnisse für Arbeit.
Neben Lohn und Arbeitszeit müssen auch die Beschäftigungsaussichten
in den Günstigkeitsvergleich einbezogen werden. Den Tarifparteien
muss zur Sicherung der Tarifautonomie jedoch ein begründetes
Einspruchsrecht bleiben.
Wahlprogramm der CDU/CSU
Die großflächige Vernichtung von Arbeitsplätzen
und sozialen Chancen durch starre, betriebsferne Flächentarife
muss gestoppt werden. Der Flächentarifvertrag, der die Arbeitsverhältnisse
bis ins Detail bundeseinheitlich regelt, hat ausgedient. Die Tarifparteien
sollen sich darauf beschränken, Rahmenbedingungen zu setzen.
(
) Das Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz
muss dahingehend geändert werden, dass künftig auch
ein geringerer Lohn oder eine längere Arbeitszeit für
den Erhalt des Arbeitsplatzes günstiger sein kann, wenn hierdurch
der Arbeitsplatz gesichert wird und dem 75 Prozent der abstimmenden
Mitarbeiter des Unternehmens zugestimmt haben. (
)
Wahlprogramm der FDP
-
Die Tarifautonomie ist Ausdruck der im Grundgesetz verankerten
Koalitionsfreiheit. Diese gibt sowohl Arbeitnehmern als auch
Arbeitgebern das Recht, zur Wahrung und Förderung
der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden.
-
Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbände) entscheiden
gemeinsam darüber, wie sie die Arbeitsbedingungen gestalten
ohne Einmischung von außen.
-
Zu gemeinsamen Ergebnissen gelangen sie durch Verhandlungen
unter Umständen auch verbunden mit einem Arbeitskampf.
-
Ihre Ergebnisse legen Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbände)
in Tarifverträgen fest. Diese wirken zwingend und unmittelbar
für jeden tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
-
Tarifverträge bieten Sicherheit und Verlässlichkeit.
Sie haben eine Schutz-, Ordnungs- und Friedensfunktion.
Was tarifvertraglich gesichert ist, kann nicht abweichend etwa
durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt werden.
Dies ist nach dem Tarifvertragsgesetz nur dann zulässig,
wenn es der Tarifvertrag ausdrücklich gestattet oder wenn
es für den Arbeitnehmer günstiger ist (so genanntes
Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz). Und
nur wenn sich die Tarifparteien darüber einig sind, können
betriebliche Vereinbarungen wirksam werden, die darauf zielen,
tarifliche Leistungen zu kürzen oder auf sie ganz zu verzichten
(§ 4 Abs. 4 TVG). Dieses Recht wollen CDU/CSU und FDP nun den
Beschäftigten und den Betriebsräten übertragen.
Was in Tarifverträgen geregelt ist oder üblicherweise
geregelt wird, kann nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen
werden. Dieser so genannte Tarifvorrang ist in § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz
verankert. Er stützt die Koalitionsfreiheit und sichert die
Funktionsfähigkeit derTarifautonomie. DerTarifvorrang schützt
davor, dass Gewerkschaften und Betriebsräte gegeneinander
ausgespielt werden können. Und er verhindert, dass Tarifverträge
nur noch eine Art Richtlinienfunktion entfalten können, weil
Betriebsvereinbarungen sie ganz oder teilweise verdrängen.
für die Wirtschaft
Das deutsche Tarifsystem hat entscheidenden Anteil daran, den Produktivitätsfortschritt
und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern:
-
Allein in der Metallwirtschaft stieg die Arbeitsproduktivität
zwischen 1993 und 2000 um 52,2 Prozent.
-
Deutschland behauptet erfolgreich seine Position als Exportweltmeister.
-
Deutschland ist nach wie vor als Wirtschaftsstandort gefragt.
Von 1998 bis 2001 haben ausländische Unternehmen zehnmal
mehr in Deutschland langfristig investiert als in den vier Jahren
zuvor.
-
Der bisherige Rekord wurde im Jahr 2000 mit ausländischen
Direktinvestitionen von rund 212 Milliarden Euro erzielt.
Flächentarifverträge passen bestens in ein marktwirtschaftliches
System. Denn sie schaffen einheitliche Wettbewerbsvoraussetzungen
für alle Unternehmen der Branche und schalten damit Schmutzkonkurrenz
aus.
Flächentarifverträge erfüllen für die Löhne
und Gehälter das wirtschaftliche Prinzip der einheitlichen
Wettbewerbsvoraussetzungen. Auch andere Wettbewerbsbedingungen
sind für jeden gleich, der in einer bestimmten Branche tätig
ist. Zinsen, Steuern, Strom- und Wasserpreise, technische Normen
etc. variieren nicht von Betrieb zu Betrieb.
Indem Tarifverträge allen Unternehmen einer Branche weitgehend
gleiche Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der Löhne sichern,
muss sich der Wettbewerb der einzelnen Unternehmen dann auf die
Felder Innovation, Produktivität, Qualität, Service und
kundenspezifische Lösungen etc. beziehen.
Es kommt hinzu: Indem der Tarifvertrag Durchschnittsbedingungen
für die Branche setzt, fördert er marktwirtschaftliche
Dynamik und Strukturanpassungen: Pionierunternehmen, die erfolgreicher
sind bei der Durchsetzung von neuen Produktionsverfahren und Produkten,
können vorangehen und werden für höhere Produktivität
belohnt. Andere Unternehmen werden angereizt, den Pionierunternehmen
zu folgen.
Bei strikter Lohndifferenzierung nach der betrieblichen Produktivität
wäre dies anders. Dann würde ein erheblicher Teil der
überdurchschnittlichen Produktivität durch betriebliche
Lohnsteigerung abgeschöpft, der Anreiz wäre geringer.
Umgekehrt würden Unternehmen mit unterdurchschnittlicher Produktivität
durch geringere Lohnzuwächse zwar geschont, aber
eben auch nicht dazu gedrängt, sich durch Strukturanpassung
effizienter zu machen. Das wäre allenfalls temporär von
Vorteil mittel- und langfristig wäre die Wettbewerbsfähigkeit
dahin.
Henry Ford: Gutes Geld für gute Arbeit
Schon Henry Ford erkannte und das bereits im Jahre 1914: Gutes
Geld für gute Arbeit fördert Leistungsbereitschaft,
Effizienz und Arbeitsproduktivität.
Lohnzufriedenheit ist nach wie vor wichtig, um junge, motivierte
und qualifizierte Arbeitnehmer an ein Unternehmen zu binden.
Nun verbirgt sich hinter der Kritik an verbindlichen Flächentarifverträgen
meist die Vorstellung, Löhne sollten eben generell geringer
wachsen als der Verteilungsspielraum, der aus Produktivität
und Preisen besteht. So ließe sich wird weiter argumentiert
Wettbewerbsfähigkeit verbessern und dann auch Beschäftigung
gewinnen. Ein beliebtes Beispiel hierfür sind die Niederlande.
Nun zeigt aber gerade dieser Fall, dass dies ein Fehlschluss ist.
Jüngste Studien für die Niederlande kommen zu dem Ergebnis,
dass längerfristige Lohnzurückhaltung dort begann sie
1982 zum Verlust von Produktivitätszuwächsen und von
Innovationsdynamik führt. Damit wiederum fällt das Land
im internationalen Wettbewerb zurück, der Export wird schwieriger
und die Importkonkurrenz wird schärfer.
So gehen letztlich Märkte verloren, damit auch Beschäftigung.
Das taugt nicht als langfristige Strategie für eine Volkswirtschaft,
die vor allem auf Innovation, Technologie und Qualifikation setzen
muss, um im Konzert der internationalen Konkurrenz mitzuspielen.
Ein weiterer Aspekt, unter dem sich der Flächentarifvertrag
auch aus Sicht der Unternehmen bewährt hat: Er garantiert ihnen
für die Laufzeit Ruhe im Betrieb. Denn während der Laufzeit
eines Tarifvertrags gilt die Friedenspflicht.
Die Unternehmen können sich also darauf verlassen, dass es
in diesem Zeitraum keine Arbeitskampfmaßnahmen geben wird,
die zum Ziel haben, Löhne, Gehälter, Arbeitszeit, Urlaub
und andere tarifvertraglich vereinbarte Bedingungen zu verändern.
Damit wissen sie immer schon lange im Voraus, zu welchen Zeiten
sie mit weitergehenden Ansprüchen der Beschäftigten rechnen
müssen. Das gibt ihnen eine verbriefte Planungssicherheit.
Schwarz auf weiß.
Die Basis dafür ist wiederum die Tarifautonomie mit Arbeitgeberverbänden
und Gewerkschaften als gleichberechtigten Verhandlungspartnern an
einem Tisch. Mit der Friedenspflicht garantiert sie stabile wirtschaftliche
Verhältnisse. Dieser über lange Jahre bewährte positive
Standortfaktor würde fahrlässig verspielt, wenn in jedem
Betrieb Verhandlungen über Entgelte und Arbeitsbedingungen
geführt werden müssten. Aus wäre es mit der Friedenspflicht
und damit auch mit gleichen Wettbewerbschancen innerhalb der Branche.
Betriebliche Verhandlungen mehr Konflikte
Darüber hinaus bündeln die gemeinsamen Verhandlungen
von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowohl Knowhow
als auch die Forderungen auf beiden Seiten und gewährleisten
so ein faires Gleichgewicht der Kräfte und verbindliche Ergebnisse.
Würde man diese Verhandlungen auf die betriebliche Ebene verlagern,
würde das unterm Strich jedes einzelne Unternehmen erheblich
mehr Geld und Zeit kosten. Denn die Zahl der Verhandlungen wie auch
der möglichen Konflikte würde sich vervielfältigen.
Flächentarifverträge bedeuten ein Outsourcing von betrieblichen
Lohnverhandlungen und den damit verbundenen Kosten.
Außerdem hätten gerade kleine und mittlere Betriebe
weder die Zeit noch das Know-how, immer wieder mit einzelnen Beschäftigten
oder dem Betriebsrat neue Verträge auszuhandeln.
Und wer garantiert, dass bei derart zustande gekommenen reinen
Firmentarifverträgen tatsächlich unternehmerfreundlichere
Abschlüsse herauskämen?
Im Übrigen kann sich die deutsche Wirtschaft nicht über
mangelnde Kompromissfähigkeit der Gewerkschaften beklagen.
Sie verhandeln zwar hart und zielstrebig. Aber was den betrieblichen
Frieden betrifft, so spricht die Streikstatistik (geführt vom
arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft) eine deutliche
Sprache.
Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt: Betriebliche Verhandlungen
führen zu mehr Arbeitskämpfen.
Tarifabschlüsse orientieren sich schon immer an der wirtschaftlichen
Lage der jeweils betroffenen Branche. Tarifpolitik ist kein Wunschkonzert.
Am Ende von Verhandlungen auch wenn sie in der Sache oft hart
geführt werden müssen steht immer ein Kompromiss. Ein
Vertrag mit den Unterschriften beider Seiten.
Derzeit gelten in Deutschland 57.595 Tarifverträge. Allein
im letzten Jahr sind 6.752 abgeschlossen worden. Diese Zahlen beweisen,
wie beweglich das System ist. Auf der Grundlage der einzelnen Verträge
ergeben sich deutliche Spielräume für die Branche, selbst
für einzelne Betriebe. Es gibt nicht den Flächentarifvertrag.
Auch der Flächentarifvertrag hat Flexibilitätspolster:
Verursacht die Weitergabe der tariflichen Entgelterhöhungen
eine Gefährdung der wirtschaftlichen Bestandsfähigkeit
eines Unternehmens, können Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam
bei den Tarifvertragsparteien eine Sonderregelung beantragen.
Die Tarifvertragsparteien werden in diesem Fall zeitlich befristete
Sonderregelungen prüfen und treffen, soweit damit ein Beitrag
zum Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze zu leisten
ist. Voraussetzung für die Vereinbarung einer befristeten
Sonderregelung durch die Tarifvertragsparteien ist die Vorlage
eines Sanierungskonzeptes und der Ausschluss betriebsbedingter
Kündigungen während der Laufzeit der Sonderregelung.
Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in
Baden-Württemberg 2002
-
Zwischen den tarifvertraglich vereinbarten
und den effektiv bezahlten Entgelten liegen je nach Branche
und einzelnem Unternehmen Spannen zwischen 10 und 20 Prozent.
Damit wird die jeweilige betriebliche Situation berücksichtigt.
-
Der Beschäftigungssicherungsvertrag erlaubt es, die Arbeitszeit
vorübergehend abzusenken. Dies kann einheitlich für
einen ganzen Betrieb, für Teile des Betriebs oder für
bestimmte Mitarbeitergruppen vereinbart werden.
-
Die Tarifverträge zur 35Stunden-Woche sehen in der Metall-
und Elektroindustrie vor, dass bis zu 18 Prozent der Beschäftigten
eine längere Wochenarbeitszeit haben dürfen.
-
Die jüngste Tarifrunde brachte den Metallerinnen und Metallern
bei den Entgelten ein Plus von vier Prozent. Die IG Metall war
bereit, eine Sonderregelung (siehe unten) zu vereinbaren:
Firmen, denen es wirtschaftlich schlecht geht, können beantragen,
dass die Tariferhöhung in einem bestimmten Rahmen ausgesetzt
wird. Dadurch kann in kritischen Situationen verhindert werden,
dass sie massiv Arbeitsplätze abbauen oder gänzlich
schließen müssen.
Um die betrieblichen Bündnisse für Arbeit auf
eine sichere Grundlage zu stellen, muss die Definition des Günstigkeitsprinzips
im Tarifvertragsgesetz erweitert werden: Einzelvertragliche Regelungen
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind als zulässige
Abweichungen von Tarifregelungen anzuerkennen, wenn sie für
die vereinbarte Laufzeit mit einer Zusage zur Beschäftigungssicherung
oder zum Aufbau neuer Arbeitsplätze verbunden sind. Darüber
muss im Voraus oder nachträglich mit dem Betriebsrat Einvernehmen
erzielt werden. Wenn ein Betriebsrat nicht existiert, müssen
mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer der geplanten Regelung
zustimmen.
Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)
Zum Beispiel: die ostdeutsche Metallindustrie
Die grundsätzliche Flexibilität von Tarifverträgen
und damit auch der IG Metall hat sich einmal mehr am Beispiel
der ostdeutschen Metallindustrie gezeigt. Hier wurden im Tarifvertrag
so genannte Härteklauseln vereinbart. Nicht zuletzt deshalb,
weil die wirtschaftliche Kraft der Betriebe sehr unterschiedlich
ist. Betriebe, die Schwierigkeiten hatten, sich an die Marktwirtschaft
anzupassen, konnten bei den Tarifvertragsparteien Härtefallanträge
stellen. Sie mussten allerdings gegenüber der IG Metall ihre
Bücher offen legen und einen Sanierungsplan vorweisen können.
Wenn die wirtschaftliche Situation für den Betrieb tatsächlich
schwierig ist, können IG Metall und Arbeitgeberverband für
eine befristete Zeit vereinbaren, dass die tariflichen Standards
unterschritten werden. Voraussetzung: Der Erhalt der Arbeitsplätze
muss aussichtsreich sein. Allerdings hat die Erfahrung bestätigt:
Wegen der Lohnhöhe ist kaum ein Betrieb in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geraten. Vielmehr waren Managementfehler, eine zu
geringe Eigenkapitalquote und damit verbunden zu hohe Zinszahlungen
an die Banken ausschlaggebend.
Auch wenn keine Härtefallklauseln vereinbart sind, können
die Tarifvertragsparteien in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für
einzelne Betriebe jederzeit Abweichungen vom Tarifvertrag vereinbaren.
Tarifliche Öffnungsklauseln erhöhen die Flexibilität
In Tarifverträgen hat es immer schon Öffnungsklauseln
gegeben. Die Ausgestaltung der tarifvertraglich geregelten Arbeitszeit
durch die Betriebsparteien ist beispielsweise nur möglich,
weil sie in Öffnungsklauseln festgelegt ist. In den Manteltarifverträgen
gibt es zum Beispiel auch Öffnungsklauseln über die Lage
und Verteilung der Arbeitszeit oder die Auswahl von Entlohnungssystemen.
Die Betriebe müssen einen höheren Autonomiegrad
haben, um im Einvernehmen mit den Belegschaftsvertretern auf betrieblicher
Ebene auch tarifrelevante Themen regeln zu können. Mir geht
es nicht um den Ersatz, sondern um die Ergänzung des Flächentarifvertrages.
Die Gewerkschaften seien gut beraten, wenn sie Öffnungsklauseln
in Tarifverträgen zustimmten, die es den Betriebsparteien
für bestimmte Bereiche erlaubten, lohn- oder arbeitszeitrelevante
Vereinbarungen zu treffen. Sonst laufen sie Gefahr, von
der Realität überrollt zu werden.
Es
geht auf Dauer nicht, dass (
) betriebliche Bündnisse
illegal sind. Deshalb steigt der Druck, das Günstigkeitsprinzip
zu reformieren. Die Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes muss
für einen Beschäftigten günstiger sein als das
Bestehen auf einer uneingeschränkten tariflichen Leistung,
die seinen Arbeitsplatz gefährdet.
Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbands Deutscher
Industrie (BDI)
Marktradikale Politiker und Arbeitgebervertreter meinen mit Öffnungsklauseln
allerdings etwas ganz anderes: Sie wollen erreichen, dass Geschäftsleitung
und Betriebsrat von den tarifvertraglichen Mindeststandards abweichen
können. Dass sie statt der 35-Stunden-Woche für alle wieder
die 40-StundenWoche aus der Mottenkiste holen können. Dass
sie statt 1.750 Euro einen Ecklohn von 1.610 Euro vereinbaren. Dass
das Weihnachts- und Urlaubsgeld vom Gewinn abhängig gekürzt
oder gestrichen wird. Ihr Ziel ist es nicht, Tarifstandards im Kompromiss
zu gestalten. Diesen Kräften aus Politik und Wirtschaft geht
es darum, das Tarifniveau insgesamt zu senken.
für den Staat
Die Tarifautonomie sichert die gesellschaftliche Stabilität.
Dies ist ihr großer Verdienst in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland. Der soziale Frieden auf der Basis paritätischer
Konfliktregelungen hat den Wirtschafts- und Sozialstaat entscheidend
vorangebracht.
Die Tarifpolitik war schon in der Vergangenheit vielfach Vorreiter
für gesellschaftspolitische Fortschritte. Tarifliche Erfolge
beim Entgelt sichern unter anderem auch die finanzielle Basis der
Sozialversicherungen. Viele mittlerweile etablierte arbeits- und
sozialgesetzliche Vorschriften haben ihre unmittelbaren Vorläufer
in tariflichen Regelungen: Arbeitsschutzgesetze, das Arbeitszeitgesetz,
sozialrechtliche Vorschriften. Auch neuere Tarifverträge
zur Beschäftigungssicherung, Qualifizierung, Altersteilzeit
und Altersversorgung werden das zukünftige soziale Gesicht
Deutschlands prägen.
Die geringe Zahl von Streiks in der Bundesrepublik zurückzuführen
auf die Stärke der Gewerkschaften sind zudem ein wichtiger
Standortfaktor. Die Gewerkschaften nutzen das Streikrecht traditionell
nur in unausweichlichen Fällen. Ihre Kampfkraft ist den Arbeitgebern
bewusst. Deshalb ist ein Streik der Ausnahmefall.
Tarifautonomie und gesellschaftspolitische Fortschritte
Deutschland zählt zu den führenden Wirtschaftsmächten
der Erde und ist die Exportnation Nr. 1. Sein
größter Trumpf ist eine auf gut ausgebildete, motivierte
und leistungsfähige Arbeitnehmer/ innen aufbauende innovative
Wirtschaft. Das für viele europäische Länder beispielhafte
soziale Sicherungssystem in Deutschland, ein Bildungs- und Gesundheitssystem
auf hohem Niveau: All das sind ebenfalls Ergebnisse der Tarifautonomie
und entscheidende Grundlagen, um auch weiterhin gute Arbeit zu leisten.
Und alle drei Elemente sozialer Frieden, ein funktionierender
Sozialstaat, ein gut ausgebautes Bildungssystem werden als weiche
Standortfaktoren auf dem Weg ins Informationszeitalter immer bedeutsamer.
Nach Ansicht einer wachsenden Zahl von Wissenschaftlern ist die
weitverbreitete Armut in den USA eine wesentliche Ursache für
fehlende Bildungs- und Leistungsbereitschaft. Das Land kämpft
mit einer hohen offenen und versteckten Arbeitslosigkeit. Niedrige
Löhne zwingen viele dazu, mehrere Jobs parallel anzunehmen.
Vor diesem Hintergrund fehlt den Arbeitnehmern/-innen die Motivation,
sich dauerhaft zu qualifizieren und damit die Basis für hohe
Arbeitsproduktivität zu schaffen. Und was den sozialen Frieden
angeht: Die Kriminalität ist in den USA in den letzten Jahren
sprunghaft gestiegen.
Die neoliberalen Kräfte in Deutschland setzen daher viel aufs
Spiel, wenn sie ihre Angriffe auf den Sozialstaat und die Tarifautonomie
forcieren, wenn sie soziale und tarifpolitische Erfolge zurücknehmen
wollen, wie es die Kohl-Regierung 1996 mit der gesetzlichen Beschränkung
der Lohnfortzahlung getan hat. Sie gefährden damit die gesellschaftliche
Stabilität in Deutschland und letztlich auch den wirtschaftlichen
Standort.
Tarifautonomie und soziale Demokratie sind zwei Seiten einer Medaille.
Es waren die Gewerkschaften, die maßgeblich daran mitgewirkt
haben, dass die Demokratie nicht vor den Betriebstoren Halt macht.
Sie haben für neue und wirksamere Formen von Mitsprache und
Beteiligung in den Unternehmen gesorgt. Dadurch sollte die Teilhabe
der Arbeitnehmer/innen an unternehmerischen Entscheidungen und am
wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gesichert werden. Und die
Gewerkschaften haben erreicht, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer
sich auf gleicher Augenhöhe gegenüber stehen.
Die Tarifpolitik der Gewerkschaften stärkt die Demokratie,
weil sie auf demokratischen Entscheidungsprozessen basiert. Es sind
die Gewerkschaftsmitglieder, die die Tarifforderungen diskutieren,
und demokratisch gewählte Tarifkommissionen, die sie beschließen.
Sie sind es auch, die letztlich per Urabstimmung darüber entscheiden,
ob ein Verhandlungsergebnis angenommen oder gestreikt wird. Dieser
demokratische Prozess sichert eine breite Akzeptanz der Abschlüsse
in den Belegschaften. Ohne sie würden Tarifergebnisse nicht
lange Bestand haben.
Die Tarifautonomie entlastet darüber hinaus den Staat. Staat
und Tarifparteien, lautet der Auftrag des Grundgesetzes, tragen
für die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gemeinsam Verantwortung.
Die Tarifparteien können viel besser die Situation in den Unternehmen
beurteilen als der Staat.
Die Tarifautonomie ermöglicht den Arbeitnehmern,
-
ihren Lebensstandard und menschenwürdige Arbeitsbedingungen
zu sichern (Schutzfunktion),
-
am wachsenden gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben (Verteilungsfunktion)
sowie
-
über die Nutzungsbedingungen der Arbeitskraft mitzubestimmen
(Partizipationsfunktion).
Und für den Arbeitgeber erfüllt sie die Aufgabe,
-
Lohnsätze und Arbeitszeiten zu standardisieren (Kartellfunktion
gleiche Wettbewerbsbedingungen),
-
überschaubare, stabile Lohnstrukturen und Arbeitsbedingungen
herzustellen (Ordnungsfunktion),
-
Entlastung der Unternehmen von Entgeltverhandlungen und Verhandlungen
über sonstige Arbeitsbedingungen (Entlastungsfunktion),
-
Sicherung des Betriebsfriedens für die Laufzeit des Tarifvertrags
(Befriedungsfunktion).
Ohne Tarifparteien müsste der Staat diese Lücke füllen.
Damit dürfte er allerdings überfordert sein. Immerhin
müsste er ständig die zur Zeit 57.595 Tarifverträge
im Blick haben.
Abgesehen davon: Wie könnte er als Außenstehender
Löhne oder Arbeitszeiten festlegen? Welche Akzeptanz sowohl
bei den Arbeitgebern wie den Arbeitnehmern/-innen würden staatlich
verordnete Tarifverträge haben? So viel steht fest:
Differenzierte und flexible Arbeitsbedingungen, wie sie die Arbeitgeber
angesichts von Globalisierung und verstärktem internationalen
Wettbewerb fordern, könnte der Staat im Unterschied zu den
Tarifvertragsparteien nicht bereitstellen. Schon jetzt beklagen
die Arbeitgeber Überreglementierung und ein starres
Korsett von Gesetzen und Rechtsvorschriften.
Die Tarifautonomie ist für eine soziale Demokratie unverzichtbar.
Doch der von FDP und CDU/CSU entfachte Streit um das Günstigkeitsprinzip
und den Tarifvorrang stellt die Rolle der Tarifparteien
in Frage. Die Gewerkschaften sollen an den Rand gedrängt werden.
Darauf zielen die Angriffe auf die Tarifautonomie. Gewerkschaftliche
Gegenmacht soll durch betriebliche Bündnisse ersetzt werden.
Würden Arbeitnehmer das Recht erhalten, bei wirtschaftlichen
Schwierigkeiten des Unternehmens untertarifliche Bedingungen zu
vereinbaren nach dem Motto: Schlechte Arbeit ist allemal besser
als Arbeitslosigkeit so bliebe bei Lichte besehen im (ökonomischen)
Ernstfall keine zwingende Arbeitsrechtsnorm mehr bestehen. (
)
Gilt das selbe nicht auch, wenn auf den Mutterschutz verzichtet
wird oder Jugendliche am Fließband arbeiten? Nicht nur die
Unabdingbarkeit von Tarifverträgen, die des gesamten Arbeitsrechts
stünde auf dem Spiel. Das Günstigkeitsprinzip will evidentermaßen
keine solchen Folgen bewirken: Es ergänzt die tarifvertragliche
Mindestniveaugarantie, will sie aber nicht aushebeln.
Prof. Dr. Wolfgang Däubler
Das Grundgesetz erteilt den Tarifvertragsparteien den Auftrag,
die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln. Das schließt
auch Beschäftigungspolitik und Verantwortung für Arbeitsplätze
mit ein. Dieser umfassenden Aufgabe sind die Tarifvertragsparteien
verantwortungsbewusst nachgekommen, teils im Konflikt wie bei
der Arbeitszeitverkürzung, teils im Konsens wie bei vielen
Standortsicherungsvereinbarungen. Jetzt will man die Gewerkschaften
aus dieser Verantwortung herausdrängen. Die Arbeitgeber sollen,
wenn es nach CDU/CSU und FDP geht, allein mit den Beschäftigten
und den Betriebsräten im Rahmen von betrieblichen Bündnissen
für Arbeit über die Beseitigung tariflicher Ansprüche
verhandeln. Sie sollen frei werden von gewerkschaftlicher Gegenmacht.
Was dies bedeutet, wird erst bei näherem Hinsehen klar: Sie
wollen keinen Verhandlungspartner, der stark ist und Gegenmacht
entfalten kann. Sie wollen Belegschaften und Betriebsräte in
Verhandlungen über betriebliche Bündnisse,
mit betriebswirtschaftlichen Sachzwängen unter
Druck setzen. Das öffnet einer weiteren Flexibilisierung der
Arbeit zu Lasten der Beschäftigten Tür und Tor. Ein Lohnsenkungs-
und Deregulierungsprogramm erster Klasse!
Nicht nur die Gewerkschaften, auch namhafte Juristen halten das
Vorhaben von CDU/CSU und FDP für verfassungswidrig. Denn das
Grundrecht der Koalitionsfreiheit, das die Tarifautonomie einschließt,
wird dadurch ausgehöhlt. Aber das ficht CDU/ CSU und FDP nicht
an. Die Änderung des Streikparagrafen hat gezeigt, dass die
Gewerkschaften nicht auf Abhilfe durch das Bundesverfassungsgericht
hoffen können. Selbst wenn sie käme, käme sie zu
spät.
Das Kind muss gerettet werden, bevor es in den Brunnen fällt.
CDU/CSU und FDP dürfen keine Gelegenheit erhalten, die Tarifautonomie
zu beschädigen.
Rechtsprechung sichert Tarifautonomie
Günstigkeitsprinzip
Es ist daran festzuhalten, dass bei einem Günstigkeitsvergleich
von tariflichen und vertraglichen Regelungen nach § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz
(TVG) nur sachlich zusammenhängende Arbeitsbedingungen vergleichbar
und deshalb zu berücksichtigen sind (ständige Rechtssprechung).
§ 4 Abs. 3 TVG lässt es nicht zu, dass Tarifbestimmungen
über die Höhe des Arbeitsentgelts und über die
Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit mit einer betrieblichen
Arbeitsplatzgarantie verglichen werden. (
) Ein derartiger
Vergleich von Regelungen, deren Gegenstände sich thematisch
nicht berühren, ist (
) methodisch unmöglich (Äpfel
mit Birnen) und mit § 4 Abs. 3 TVG nicht vereinbar. (
)
Wären (
) Arbeitsplatzrisiken (
) in einem Günstigkeitsvergleich
zu berücksichtigen, so stünde die Wirkung zwingenden
Tarifrechts praktisch zur Disposition einzelner Arbeitgeber.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. April 1999
(AZ.: 1 ABR 72/98)
Tarifvorrang
Die (
) von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützte
Regelungsbefugnis wird nicht erst dann beeinträchtigt, wenn
eine Koalition daran gehindert wird, Tarifrecht zu schaffen. Eine
Einschränkung oder Behinderung der Koalitionsfreiheit liegt
vielmehr auch in Abreden oder Maßnahmen, die zwar nicht
die Entstehung oder den rechtlichen Bestand eines Tarifvertrags
betreffen, aber darauf gerichtet sind, dessen Wirkung zu vereiteln
oder leerlaufen zu lassen. Die Tarifnorm kann dann ihren Zweck
nicht erfüllen, den Teil der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
zu ordnen, der ihren Gegenstand bildet. Daran kann auch die Tatsache
nichts ändern, dass entsprechende Abreden nach Art. 9 Abs.
3 Satz 2 Grundgesetz nichtig sind, also die tarifliche Ordnung
nicht in rechtlich erzwingbarer Weise ersetzen. Die Beeinträchtigung
der Koalitionsfreiheit liegt vielmehr darin, dass solche Absprachen
faktisch geeignet sind, schon aufgrund ihres erklärten Geltungsanspruchs
an die Stelle der tariflichen Regelung zu treten.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. April 1999
(AZ.: 1 ABR 72/98)
Beschränkung der Vertragsfreiheit bei faktischem Ungleichgewicht
Die durch Grundgesetz Artikel 12 Absatz 1 gewährleistete
berufliche Tätigkeit dient nicht nur der personalen Entfaltung
des arbeitenden Menschen in der Gesellschaft (
), den meisten
Bürgern gewährleistet sie vor allem die Möglichkeit,
sich eine wirtschaftliche Grundlage ihrer Existenz zu schaffen,
wozu regelmäßig typischerweise durch zivilrechtliche
Verträge Bedingungen auf Zeit oder Dauer einzugehen sind.
(
) Einschränkungen der Privatautonomie sind unentbehrlich,
weil diese auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht, also voraussetzt,
dass auch die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich
gegeben sind; kann ein Vertragsteil aufgrund seines starken Übergewichts
vertragliche Regelung faktisch einseitig setzen, so ist mit den
Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Interessenausgleich
zu gewährleisten. Wird dabei über grundrechtlich verbürgte
Positionen verfügt, müssen staatliche Regelungen zur
Sicherung des Grundrechtsschutzes und zur Verwirklichung der objektiven
Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und des Sozialstaatsprinzips
ausgleichend eingreifen.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Februar
1990 (AZ.: 1 BvR 26/84)
Die Tarifautonomie hat einen wesentlichen Anteil an der lang anhaltende
sozialen und politischen Stabilität in Deutschland. Weitere
Bewährungsproben stehen ihr noch bevor. Denn nicht nur von
neoliberaler Seite drohen der Tarifautonomie neue Gefahren, sondern
auch vom wirtschaftlichen Strukturwandel sowie von der Internationalisierung
der Arbeits- und Finanzmärkte.
Die modernen Unternehmensstrategien, die im Zusammenhang globaler
Trends stehen (neue internationale Arbeitsteilung, europäischer
Binnenmarkt, neue Informations- und Kommunikationstechnologien usw.),
zielen auf neue Produktions- und Organisationskonzepte. Dabei stehen
Betrieb, Branche und Nationalstaat nicht mehr im Mittelpunkt. Die
Region und der internationale Wirtschaftsraum werden bedeutsamer.
Die Tarifparteien müssen daher über kurz oder lang neue
Verfahren und Formen der Interessenvermittlung und -vertretung entwickeln.
Angesichts grenzüberschreitender Arbeitsmärkte betrifft
das insbesondere die Qualifizierung der Beschäftigten und die
soziale Sicherung.
Es entsteht ein zunehmender Bedarf nach europäischen Tarifverträgen
und multinationaler Mitbestimmung, um soziale Deregulierung, Lohndumping
und prekäre Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Denn sonst
könnte wachsende Unterbietungskonkurrenz im internationalen
Raum eine verheerende Spirale von sozialem Abstieg, gesellschaftlicher
Abschottung und ökologischer Ausbeutung in Gang setzen.
Darauf müssen die Gewerkschaften neue Antworten finden.
Der Tarifautonomie werden daher künftig nicht weniger, sondern
immer mehr Aufgaben zufallen, um die politische und soziale Stabilität
zu erhalten. Dies gilt erst recht, solange es einen unübersehbaren
Nachholbedarf an sozialer Gestaltung innerhalb der Europäischen
Union und der politischen Regulierung des globalen Finanzsystems
gibt.
Soziale Innovationen sind notwendig, um von der Definition sozialer
Mindeststandards zu ihrer Anhebung und einer solidarischen Umverteilung
von Einkommen, Vermögen, Bildungschancen und Arbeitszeit zu
gelangen und eine nachhaltige Zukunftsentwicklung zu ermöglichen.
Staat und Tarifparteien müssen die Grundlagen verbessern, auf
denen fundierte und differenzierte Verhandlungsergebnisse auch auf
internationaler Ebene gesichert werden können.
Für die IG Metall heißt dies,
-
eine stärkere Koordinierung der Tarifpolitik, insbesondere
auch der Lohnpolitik, auf europäischer Ebene voranzutreiben;
-
in noch mehr Betrieben und Unternehmen europäische Betriebsräte
zu wählen;
-
daran mitzuwirken, auf europäischer Ebene den Rahmen für
soziale Rechte und gewerkschaftliche Aktivitäten sowie
für die Informations-, Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte
der Beschäftigten zu erweitern;
-
in Europa Lohndumping zu stoppen und soziale Mindeststandards
durchzusetzen.
Die Tarifautonomie ist eine sichere Basis, um auch die Herausforderungen
der Globalisierung zu meistern. Deshalb muss sie gestärkt werden.
Sie zu zerschlagen wäre kontraproduktiv.
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